EncroChat – rechtswidrig erlangte Chatprotokolle in deutschen Strafverfahren verwertbar?

von RA Dr. Philipp Hammerich

Französischen Sicherheitsbehörden der europäischen Polizeibehörde Europol sollen im Frühjahr 2020 das Kommunikationsnetzwerk von EncroChat gehackt haben. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse über Straftaten von deutschen Nutzern sind an deutschen Strafverfolgungsbehörden inzwischen weitergegeben worden. Nunmehr stellt sich vor den deutschen Gerichten die Frage der Verwertbarkeit der erlangten Daten.

Was ist genau passiert?

EncroChat ist ein Messenger-/Kommunikationsdienst. Im Frühjahr 2020 sind französische Ermittler von Europol in EncroChat eingedrungen und haben umfassend Chatverläufe der User gesichert. Es hieß dabei, die Ermittlungsbehörden haben „live“ mitgelesen, da es gelungen sein, den zentralen Server von EncroChat zu hacken.

Daten sind bei den deutschen Ermittlungsbehörden angelangt

Bei EncroChat gab es auch ca. 3.000 User aus Deutschland. Die Ermittler aus Frankreich gaben vor einigen Monaten diese Daten an das Bundeskriminalamt weiter. Die deutschen Ermittlungsbehörden werten diese Daten nunmehr aus und suchen nach Straftaten. Dabei ist damit zu rechnen, dass dies noch etliche Monate in Anspruch nehmen wird und ständig Strafverfahren in Gang gesetzt werden. Es sind jedoch auch jetzt schon bereits etliche Strafverfahren eingeleitet worden.

Wie kommen die deutschen Ermittlungsbehörde an die Namen der Betroffenen?

Dabei ist es den Ermittlungsbehörden gelungen aus Indizien, wie genannten Adressen oder Handynummern, einige Nutzer zu identifizieren. Bisher sind vor allem Chatprotokolle aufgetaucht, hingegen ist bisher nichts von gesicherten „Sprachnachrichten“ bekannt geworden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die französischen Ermittler wirklich „live“ in den Chats waren. In diesem Fall hätte man auch „Sprachnachrichten“ sichern können und es gibt keinen vernünftigen Grund, warum dies dann nicht passiert wäre. Bisher gibt es kaum eine Möglichkeit zu überprüfen, auf welchen Weg die Daten wirklich erlangt worden sind. Dabei werden Erinnerung wach, an die Geheimnisse, über die Edward Snowden im Rahmen der NSA-Affäre über die Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten berichtete. Die Geheimdienste dringen über sogenannte Backdoors in die Microchips von Smartphones ein. Auch bei EncroChat gibt es starke Indizien, dass letztlich auch die Smartphones der User in ähnlicher Weise gehackt worden sind.

Daten rechtwidrig erlangt?

Damit stellt sich zunächst die Frage, ob die französischen Ermittlungsbehörden die Daten überhaupt rechtmäßig erlangt haben. Es gibt bisher keine Erkenntnisse, dass die französischen Ermittler konkrete Anhaltspunkte hatten, ob und über welche Straftaten in EncroChat kommuniziert worden ist. Daher stellt sich die Frage, ob nicht ein massiver Grundrechtseingriff abseits eines konkreten Verdachtes vorgenommen worden ist. Ein solcher Eingriff wäre schon nach französischen Recht kaum zu rechtfertigen.

Daten in deutschen Strafverfahren verwertbar?

Einige Strafverfahren in Deutschland sind schon recht weit fortgeschritten, insbesondere wegen Drogen- und Waffenhandel. Aber auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität kam es im Zuge der EncroChat-Affäre schon zu Hausdurchsuchungen und ähnlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Damit kommen wir zur Gretchenfrage der EncroChat-Affäre: sind die erlangten Daten auch in deutschen Strafverfahren verwertbar.

Keine Wahrheitsfindung um jeden Preis

In einem Rechtsstaat wie Deutschland gibt es keine Wahrheitsfindung um jeden Preis. Der Zweck heiligt gerade nicht die Mittel. Daher können rechtswidrig erlangte Beweismittel unverwertbar sein. Das Problem dabei ist, dass der deutsche Gesetzgeber solche Beweisverwertungsverbote in der Strafprozessordnung (StPO) kaum geregelt hat. Die StPO regelt zwar die Voraussetzungen, unter denen Ermittlungsmaßnahmen vorgenommen werden können. Jedoch ist in aller Regel gerade nicht geregelt, was passiert, wenn diese Voraussetzungen nicht eingehalten werden.

Nicht aus jeder rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme resultiert ein Beweisverwertungsverbot

Auch resultiert nicht aus jedem Verstoß gegen eine Beweiserhebungsnorm zwangsläufig ein Beweisverwertungsverbot. Aber selbst wenn es ein Beweisverwertungsverbot gibt, erstreckt sich dieses anders als in den USA in der Regel nicht auf Folge-Erkenntnisse. Dies wird von vielen Strafverteidigern stark kritisiert, da dies von den Ermittlungsbehörden als ein Freischein für rechtswidrige Ermittlungsarbeit angesehen werden könnte. Leider ist diese Praxis vom Bundesverfassungsgericht mehrfach als verfassungskonform eingestuft worden.

Konkrete Abwägung im Einzelfall vorzunehmen

Aber wie ergeben sich Beweisverwertungsverbote dann in Deutschland. Die deutschen Gerichte ermitteln ein Beweisverwertungsverbote anhand einer konkreten Abwägung im Einzelfall. Dabei ist das staatliche Interesse an der Strafverfolgung im Einzelfall mit dem Interesse des Bürgers an einem grundrechtlich garantierten fairen rechtsstaatlichen Verfahren (sogenannter fair trial Grundsatz) abzuwägen.

Je schwerer die Straftat, umso eher sind rechtswidrig erlangte Erkenntnisse verwertbar

Vereinfacht lässt sich sagen: Je schwerer die Straftat, umso eher sind rechtswidrig erlangte Erkenntnisse verwertbar. Gerade bei Straftaten von erheblicher Bedeutung und keiner anderen Möglichkeit der Aufklärung, sieht der Bundesgerichtshof selbst schwerwiegende Grundrechtsverletzungen als gerechtfertigt an.

EncroChat-Daten regelmäßig unverwertbar

Aber selbst unter Anlegung dieser sehr „polizeifreundlichen“ Rechtsprechung dürften die EncroChat-Daten regelmäßig regelmäßig unverwertbar sein.

Derartige Ermittlungsmaßnahmen in Deutschland so nicht möglich

Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass derartige Ermittlungsmaßnahmen in Deutschland so nicht zulässig sind. Online-Durchsuchungen sind in Deutschland immer nur aufgrund eines Gerichtsbeschlusses möglich, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für erhebliche Straftaten (sogenannte Katalogstraftaten nach 100b Abs. 2 StPO) vorliegen, welche auf andere Weise wesentlich schwerer oder gar nicht aufgeklärt werden können. Diese Voraussetzungen liegen augenscheinlich in der EncroChat-Affäre in aller Regel nicht vor. Bei einem Verstoß gegen diese Voraussetzungen geht selbst der Bundesgerichtshof in einer Gesamtabwägung in aller Regl von einem Beweisverwertungsverbot aus.

Kein Beweisverwertungsverbot bei EncroChat nach OLG Bremen und OLG Hamburg

Umso erstaunlicher ist es, dass gleich zwei Oberlandesgericht in Deutschland sich gegenteilig positioniert haben. So sehen das OLG Bremen und das OLG Hamburg kein Beweisverwertungsverbot bei Encrochat-Fällen.

Hierzu führt das OLG Hamburg im Beschluss vom 29.01.2021 (AZ 1 Ws 2/21) unter anderem aus:

“(ddd) Hiervon unabhängig würden die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot auch dann nicht vorliegen, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrig begriffen werden würde. Denn im Kern ist angesichts der bekannten Fakten davon auszugehen, dass der Zugriff auf die Daten von EncroChat grundsätzlich geboten und damit rechtmäßig war. Das konkrete Vorgehen könnte allenfalls insoweit in Frage gestellt werden, als an gewisse Eingrenzungen der Datenerhebung – etwa durch eine möglichst frühzeitige Ausrichtung auf schwere Straftaten unter Ausklammerung der übrigen Kommunikation – zu denken gewesen wäre. Sollte es bei diesen oder anderen Nuancen des Vorgehens der französischen Ermittlungsbehörden zu Rechtsverstößen gekommen sein, könnten diese aber jedenfalls im Rahmen der den vorliegenden Fall betreffenden Abwägung nicht zu einem Verwertungsverbot führen. Denn bei den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten handelt es sich gerade um solche, die besonders schwer wiegen und überragend gewichtige Rechtsgüter gefährdenden bzw. geschädigt haben. Welche Schranken oder Grenzen auch immer hätten greifen müssen: Jedenfalls hätten Straftaten wie diejenigen, die der Beschwerdeführer hochwahrscheinlich begangen hat, zielgerichtet erforscht werden müssen.”

Die Begründung ist dabei mehr als dünn und wenig überzeugend. Die Oberlandesgerichte gehen dabei letztlich davon aus, dass alleine die Nutzung von EncroChat bereits einen Anfangsverdacht für Straftaten in alle Richtungen begründet. Es erscheint mehr als zweifelhaft, dass ein Beweisverwertungsverbot unabhängig von einem “nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrigen Vorgehen“nicht gegeben sein soll.

Entscheidend ist der BGH und das BVerfG

Zum Glück ist durch diese wenig überzeugende Rechtsprechung das letzte Wort noch nicht gesprochen. Entscheidend sind die Rechtsansichten des BGH und des BVerfG. Vielleicht muss wieder einmal am Ende das Bundesverfassungsgericht die deutschen Strafgerichte darüber belehren, dass in verfassungsrechtlicher Hinsicht der Zweck doch nicht fast jedes Mittel rechtfertigt, insbesondere wenn dieses Mittel ein “nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidriges Vorgehen“ beinhaltet.